Oder: warum das Tragen von Schuhen Gotteslästerung ist?
Ich bin wahrlich kein religiöser Mensch. Im Gegenteil, ich für meinen Teil lehne jede Art von Religion grundsätzlich ab. Gibt doch immer nur Ärger…
Etwas anders sieht es mit „Gott“ aus. An einen alten Mann mit weißem Bart glaube ich natürlich nicht! Aber ich glaube an übergeordnete Kräfte, die alles Erklärbare und nicht Erklärbare bestimmen. Die Gesetze der Naturwissenschaften nämlich! Die sind so wunderbar und faszinierend und haben im Laufe der Evolution einzigartige Schöpfungen hervorgebracht.
Einfach ausgedrückt: die Natur ist Gott für mich.
Und diese göttliche Natur hat durch viele Millionen Jahre hindurch den Menschen und seinen Bewegungsapparat perfektioniert und zu einem genial ausgeklügelten System gemacht, das extrem anpassungsfähig und belastbar ist und sich zudem permanent selbst erneuern und heilen kann. Wow!
Nur das Gehirn kam offenbar mit der Evolution nicht ganz mit. Und so erfand der Mensch in seiner unendlichen Weisheit zahlreiche Dinge, um die Natur NOCH besser zu machen – zum Beispiel Schuhe. Eigentlich eine tolle Sache, diese Schuhe. Sie schützen vor Verletzungen und extremen Temperaturen. Das ist gut. Nur übertreibt es der Mensch leider und trägt immer und überall Schuhe, auch dann, wenn sie gar keinen Vorteil bringen. Und er gestaltet sie außerdem so, dass sie überhaupt nicht zur ursprünglichen Form des Fußes passen und diesen einengen und sogar verformen. Damit schädigt er nicht nur die Füße, sondern die ganze Körperstruktur!
So, wenn man nun also annimmt, dass „Gott“ gleichbedeutend mit „Natur“ ist und dass der Mensch sich erdreistet, in das evolutionär gereifte Bewegungssystem – also in die Natur – einzugreifen, indem er Schuhe trägt und damit das natürliche – also gottgegebene – Gangbild verändert… dann, ja dann muss man eigentlich zu dem Schluss kommen, dass das dauerhafte Tragen von Schuhen Gotteslästerung ist!
Puh! Harte Worte! Ist vielleicht etwas überspitzt, aber nicht ganz abwegig.
Die folgenden Zehn Gebote sollen aufzeigen, dass der Mensch im Gegensatz zur göttlichen Natur seine Sache eher schlampig gemacht hat – obwohl er glaubt, es besser zu wissen. Denn fast alles an modernen Schuhen widerspricht der natürlichen Form und Funktion menschlicher Füße. Hauptsache modisch… 🙄
Im Gegensatz zu den überwiegend negativ formulierten biblischen VERboten („Du sollst nicht…“) formuliere ich lieber echte GEbote in positiver Form (zum Aufklappen):
1. Gebot: Du sollst fest (d.h. flach) auf der Erde stehen
Könnte auch heißen: Du sollst dich nicht selbst erhöhen (aber das wäre ja wieder negativ formuliert). Der Fuß ist dazu da, flach auf dem Boden zu stehen. Nur mit der ganzen Fläche des Fußes steht dieser auch stabil und kann das Gewicht gleichmäßig verteilen. Darauf ist der ganze Bewegungsapparat ausgerichtet. Eigentlich!
Wenn man sich aber auf einen Keil (Absatz) stellt, gerät man auf die schiefe Bahn. Die ganze Körperstatik kommt aus dem Gleichgewicht. Der Vorfuß wird übermäßig belastet, die Achillessehnen verkürzen sich und Gelenke werden anders beansprucht als natürlicherweise vorgesehen. Überlastungen sowie Knie-, Hüft-, Rücken-, Nackenschmerzen können die Folge sein. Ein gelenkschonender Vorfußgang ist in Schuhen mit Absatz kaum mehr möglich. Auch das Gleichgewicht wird gestört, wenn man nicht fest mit dem flachen Fuß auf dem Boden steht.
2. Gebot: Du sollst die Zehen gerade halten
Die Zehen sind die Verlängerung der Mittelfußknochen und sollten mit diesen in einer Linie stehen. Der Fuß ist damit vorne deutlich breiter als hinten. Das ist wichtig, da Groß- und Kleinzehenballen mit der Ferse ein Dreieck bilden, was für einen stabilen Stand sorgt. Die Großzehe dient dabei als natürliche Pronationsstütze und unterstützt das Längsgewölbe.
Herkömmliche Schuhe berücksichtigen diese Fußform so gut wie nie. Selbst vermeintlich bequeme Sportschuhe laufen vorne spitz zu. Das soll elegant aussehen... naja, höchstens solange die Füße in Schuhen versteckt sind. Denn die Folge sind zusammengedrückte Zehen, die schon im Kindesalter deformieren und später zu Ballenzehen (Hallux valgus) und/oder Hammerzehen führen (sehr elegant...). Fehlt die Stütze der zur Mitte gedrückten Großzehe, knickt der Fuß nach innen ein (Knickfuß). Durch Einengung der Zehen wird außerdem auch der Vorfußgang verhindert, da ein Auffächern der Zehen unmöglich ist. Der Mensch verfällt selbst bei höherem Tempo in den Fersengang, was die Gelenke stark belastet.
3. Gebot: Du sollst den Boden unter den Füßen spüren
Die Haut unter den Füßen ist dichter mit Nerven durchsetzt als die meisten anderen Körperstellen. Das hat einen Grund! Der unmittelbare Kontakt gibt Rückmeldungen über die Beschaffenheit und Temperatur des Untergrundes. Das unterstützt zum Beispiel die Sensomotorik, denn ein direktes Feedback erleichtert es, die Balance zu halten. Hautkontakt fördert aber auch die Synapsenbildung im Gehirn. Durch permanente Stimulation der Fußnerven wird die Hirntätigkeit angeregt. Man fühlt sich "geerdet" und es werden Endorphine (Glückshormone) ausgeschüttet. Außerdem wird die Sohlenhaut deutlich dicker und robuster, wenn sie mechanisch beansprucht wird. Alle Hautschichten verstärken sich und bilden so ein starkes Polster, das auch längeren starken Belastungen standhält, ohne Blasen zu bekommen.
Bei Isolation der Haut durch eine Schuhsohle entfällt das Training der Sensorik. Alles fühlt sich gleich an, die Reizarmut führt zur Abstumpfung, Veränderungen des Untergrundes werden langsamer oder gar nicht wahrgenommen. Durch diese "sensorische Blindheit" kann auch das Stolperrisiko zunehmen, gerade im Alter. Ohne Bodenkontakt wird die Haut nicht gefordert, sie bleibt dünn und empfindlich (auch in sog. „Barfußschuhen“).
4. Gebot: Du sollst die Füße atmen lassen
Frische Luft tut den Füßen gut. Die Haut bleibt trocken und schwitzt nicht. Und wenn doch, dann trocknet der Schweiß schnell und stinkt nicht. Gut belüftete Haut ist auch weniger anfällig für Pilze und andere Keime. Sonnenstrahlung auf der Haut sorgt außerdem für die Ausschüttung von Endorphinen wie z.B. Serotonin. Das steigert das allgemeine Wohlbefinden und stärkt ebenfalls das Immunsystem.
In Schuhen hingegen bekommt man schnell Schweißfüße. Über einen längeren Zeitraum wird die Haut feucht und käsig. Erst recht, wenn Schuhe und Socken nicht auslüften können und mehrere Tage hintereinander zum Einsatz kommen, ohne gewechselt zu werden. Die Haut baut keinen guten Eigenschutz auf, wenn sie selten ans Tageslicht kommt. Das begünstigt einen Pilzbefall von Haut und Nägeln, denn Pilze mögen es feucht, warm und dunkel.
5. Gebot: Du sollst Deine Fußmuskulatur benutzen
Wenn man barfuß geht, werden Muskeln, Bänder und Sehnen gestärkt, denn sie werden dabei stärker beansprucht als beim Gehen in Schuhen. Das betrifft nicht nur die Fußmuskulatur, sondern auch die Waden und Oberschenkel. Eine kräftige Wadenmuskulatur hält unter anderem die Fußgewölbe von oben in Form (weswegen auch eine Hebung platter Füße von unten mit Einlagen unsinnig ist). Ein kräftiger Abstoß mit den Zehen stärkt die Zehenmuskulatur, die u.a. beim federnden Vorfußgang eine wichtige Rolle spielt.
Schuhe nehmen den Füßen die Arbeit ab. Durch „ergonomische“ Formung und vor allem starke Polsterung von Außen- und Innensohlen muss der Fuß weniger arbeiten - die Muskulatur verkümmert. Als Folge fallen Quer- und Längsgewölbe ein, der Fuß knickt nach innen (Knick-/Senkfuß). Mit Pronationsstützen oder Einlagen wird der Muskulatur noch mehr Arbeit abgenommen und der Effekt verschlimmert sich. Auch dadurch, dass man in Schuhen weitgehend in den Fersengang verfällt, wird der Vorfuß bzw. die Zehen weniger belastet, wichtige Muskelgruppen bilden sich zurück.
6. Gebot: Du sollst die Wärmeregulierung der Füße anregen
Dass man vom Barfußgehen auf kaltem Boden eine Erkältung oder Blasenentzündung bekommen kann, ist ein unsinniges Ammenmärchen. Im Gegenteil wird das Immunsystem durch den Kältereiz trainiert und gestärkt (das ist der Kernpunkt von Sebastian Kneipps Lehre). Die Temperatur des Untergrundes ist fast immer niedriger als die Körpertemperatur. Zum Ausgleich sorgt der Körper für Energienachschub in Form von besserer Durchblutung der Füße. Als Folge wird der Körper sogar weniger anfällig für Infektionen. Ein weiterer positiver Effekt: man bekommt seltener kalte Füße. Also kalt werden die Füße natürlich schon, aber man friert dabei nicht, das ist der Unterschied! Es ist nicht mehr unangenehm. Selbst im Winter können niedrige Temperaturen problemlos gemeistert werden, wenn die Durchblutung der Füße funktioniert.*
In Schuhen herrscht fast immer dieselbe Temperatur und die ist in der Regel gleich der Körpertemperatur oder sogar höher, auf jeden Fall immer wärmer als die Bodentemperatur. Die körpereigene Wärmeregulierung der Füße wird abgeschaltet, denn sie wird nicht mehr benötigt (Prinzip: „use it or lose it“). Sind aber die Schuhe erstmal kalt, schaffen es die Füße nicht, sich selbst und die Schuhe aufzuwärmen. Dann friert man, was zu Unwohlsein führen kann und im schlimmsten Fall tatsächlich das Immunsystem schwächt.
*Anm.: bei Minusgraden sind Schuhe allerdings sinnvoll, denn dann ist die Gefahr von Erfrierung hoch, weil der Körper Schädigungen des Gewebes unter Umständen nicht mehr zuverlässig als Schmerz meldet (Wärmegefühl trotz Erfrierung).
7. Gebot: Du sollst der Schwerkraft trotzen
Der menschliche Körper ist dem Schwerfeld der Erde ausgesetzt und muss diesem beim Stehen und Gehen entgegenwirken. Das funktioniert umso besser, je fester der Untergrund ist. Auf einem harten Boden erreicht man mehr Gegenkraft als auf einem weichen. Beispiel: Wasser, Schlamm, Sand, Beton – worauf steht man wohl am stabilsten, ohne zu wackeln oder gar einzusinken? Daher ist ein definierter, harter Abstoß notwendig, um einen Widerstand gegen die Schwerkraft zu richten. Das geht barfuß am besten!
Je dicker und weicher eine Sohle ist (z.B. Schaumstoff), desto instabiler wird der Stand und der Gang. Durch eine weiche Sohle wird mehr Energie absorbiert (=verschwendet) und steht beim Abstoß nicht mehr zur Verfügung. Überlastungen können die Folge sein. Tatsächlich werden die Gelenke und Sehnen umso mehr belastet, je weicher ein Schuh gepolstert ist. Das klingt paradox, wurde aber bereits in den 1980er Jahren in wissenschaftlichen Studien belegt. In stark gepolsterten Schuhen bekommt das Gehirn außerdem von den Füßen eine andere Rückmeldung über den Untergrund als das Auge es meldet. Das kann zu latentem Stress führen.
8. Gebot: Du sollst gehen wie ein Mensch
Die Natur sieht vor, dass Menschen locker in einer fließenden Bewegung gehen und nicht steif und unbeweglich. Dabei gelten drei einfache Regeln:
- Ein Gelenk bewegt sich nie alleine, sondern immer gemeinsam mit anderen Gelenken.
- Reihenfolge: erst große Gelenke, dann kleine, z.B. erst Hüfte, dann Oberschenkel, dann Unterschenkel, die Füße folgen dann fast von selbst (nur so kann Ballengang funktionieren!)
- Gelenke sind niemals ganz durchgestreckt, sondern haben immer etwas Vorspannung.
Wenn man das beachtet, läuft man mit dem Körper, statt gegen ihn, d.h. man nutzt Bewegungsenergie, statt Kraft zu vergeuden. Leicht angewinkelte Gelenke ebenso wie die Fußgewölbe speichern die Energie beim Aufprall. Diese Energie wird beim Abstoß wieder abgegeben und erleichtert den Bewegungsablauf, ohne dass jeder Schritt zum Kraftakt wird. Das funktioniert barfuß am besten.
Schuhe verändern die Gangart. Durch zusammengedrückte Zehen im Vorderbereich sowie die erhöhte Ferse am Absatz kann der Fuß nicht so aufsetzen wie es beim Barfußgehen der Fall ist. Das verminderte Empfinden für die Beschaffenheit des Untergrundes trägt zusätzlich zur Vernachlässigung des Ganges bei. Man latscht einfach nur so vor sich hin, womöglich mit durchgedrückten Knien. Die Bewegungsreihenfolge kommt durcheinander, Versteifungen im ganzen Körper verbrauchen unnötig Kraft und führen zu starker Belastung der Gelenke.
9. Gebot: Du sollst achtsam sein
Wer barfuß geht, achtet stärker auf den Weg. Zunächst sehr bewusst, später eher unbewusst. Scherben, Hundehaufen oder Stolperfallen werden intuitiv erkannt und umgangen. Zudem entschleunigt das Barfußgehen, da man bewusster und vielleicht auch etwas langsamer geht. Auch die Natur wird geschont, wenn man besser darauf achtet, wohin man tritt, z.B. kleine Pflanzen oder Tiere am Boden.
Mit Schuhen trampelt man gefühllos durch die Gegend und beachtet den Weg kaum. Das kann tatsächlich auch die Verletzungsgefahr erhöhen, z.B. durch Stolpern oder Anstoßen. Liegt der Fokus nicht auf dem Weg, wird mit groben Sohlen auf natürlichem Untergrund mehr zerstört als auf blanken Sohlen.
10. Gebot: Du sollst sparsam sein
Schuhe kosten Geld! Viele Schuhe kosten viel Geld, wenige Schuhe kosten wenig Geld, keine Schuhe kosten kein Geld. Außerdem spart man beim Barfußlaufen eventuell auch weitere Kosten ein. Zum Beispiel für die Behandlung von Langzeitfolgen wie Fußdeformationen, Knie-, Hüft-, Rückenprobleme, Haut- und Nagelpilze usw.
Quellen (Auszug):
Bücher:
- Meine Wasser-Kur, Sebastian Kneipp (1886)
- Barfuß gehen, Richard Soyka (1931)
- Born to Run, Christopher McDougall (2009)
- Gesunde Füße, Frank W. Demann (2015)
Blog-Artikel und Videos:
- Wie Absätze Ihren Kopf verschieben, Frank W. Demann
- Warum Füße einen harten Untergrund brauchen, Frank W. Demann
- Der Ballengang: Vorteile und Nachteile„, Frank W. Demann
- Die 10 größten Fehler beim Joggen, Frank W. Demann
- Die Haut, was Barfüßer darüber wissen sollten, Wolfgang Hilden
- Nagelpilz, Fußpilz und Dornwarzen, Eva Maria Lockstädt
- Laufschuhe verhindern die natürliche Lauftechnik, E. Bohlander
Sonstiges:
- Noch viel, viel mehr Artikel, Blogs und Videos im Internet. Zu viele, um sie alle hier aufzulisten
- Und zu guter Letzt: die eigene Erfahrung als langjähriger Barfußfreak 😉