Für manche ist es nur ein Asphaltweg um Berlin herum – für mich ist es die längste Hornhautraspel der Welt!
100 Meilen um (West-)Berlin
Wie bereits im letzten Jahr habe ich auch dieses Jahr wieder beim Mauerweglauf mitgemacht. Diesmal hatte ich sogar die Ehre, als Schlussläufer über die Ziellinie laufen zu dürfen. Leider erst in der Nacht um halb zwei, aber bei einer so langen Gesamtstrecke (161,3 km) ist das halt so! Meine Teilstrecke war etwas länger als im letzten Jahr, offiziell 21,5 km. Ich habe am Ende nur 20,8 gemessen, aber meine GPS Uhr hat vermutlich die Kurven abgerundet. Rund gerechnet war es damit mein erster Halbmarathon auf Zeit, sprich meine längste Wettkampfstrecke bislang.
Eigentlich habe ich mir immer gesagt, ich werde erst dann einen Halbmarathon machen, wenn ich sicher sein kann, dass ich ihn auch unter zwei Stunden schaffe. Hier war ich mir ganz und gar nicht sicher, aber es ist ja auch keine (Halb-)Marathonveranstaltung, sondern ein Ultramarathon und meine Strecke eben nur zufällig ungefähr so lang wie ein Halbmarathon. 😉 Da kann man mal eine Ausnahme machen, zumal es ja in der Staffel im Team war. Ich hatte dabei den letzten und längsten Teilabschnitt unserer 10er Staffel.
Probelauf
Anfang Juli war ich die Strecke schon mal probegelaufen und habe sie für gut befunden, d.h. barfußtauglich (was auch sonst?). Überwiegend Asphalt (der Mauerweg ist größtenteils ein Radweg), teilweise sehr alt und sehr rau, teilweise aber auch ganz neu und schön glatt. Zwischendrin gab es wenige kurze Stücke mit Kopfstein- oder anderem Pflaster, Gehwegplatten oder sogar kurze sandige Abschnitte mit etwas Gras. In der Stadt liegen ab und zu mal Glasscherben rum, aber ich würde ja im Dunkeln laufen und wenn man das Glas nicht sieht, dann ist es auch nicht so schlimm*… 😛 🤔
Da ich damals auch von zu Hause zum Startpunkt und nach dem Ende bis zur S-Bahn gelaufen war, hatte ich insgesamt über 27km auf der Uhr – sozusagen ein „Ultra-Halbmarathon“. 😀
Vorgeplänkel
Am Vorabend haben wir uns alle getroffen, um die Startnummern in Empfang zu nehmen und uns ein bisschen kennenzulernen. Da ganze vier Läufer ausgefallen waren, musste fast das halbe Team mit Ersatzläufern neu besetzt werden. Anschließend ging es noch zur Pasta Party, um den Kohlehydratspeicher aufzufüllen. Am Lauftag selbst (12. August) gab es mittags auch nochmal Nudeln bei mir, denn: „viel hilft viel“ hat mein Chemieleherer früher immer gesagt 😉
Start für die Staffeln war um 8 Uhr. Im Laufe des Vormittags zeichnete sich in den Zwischenergebnissen schon ab, dass wir diesmal nicht so präzise waren wie im letzten Jahr – da waren wir bei Kilometer 80 noch minutengenau im vorhergesagten Zeitplan. Nun aber bekamen wir stetig mehr und mehr Rückstand, so dass ich am Ende genau eine Stunde später gestartet bin, als ursprünglich vorgesehen, nämlich um 23:30 Uhr. Das ist verständlich, denn bei so einem Lauf im öffentlichen Straßenverkehr kann man eben nicht mit seinem üblichen Lauftempo rechnen und außerdem war es tagsüber sehr heiß und schwül, da kommt man auch schneller an die Grenzen. Und als Schlussläufer muss ich dann halt warten, weil sich alle Abweichungen aufsummieren, aber das ist nicht schlimm, denn ich wäre so oder so komplett im Dunkeln gelaufen. Immerhin war es bei mir nicht mehr so heiß, weil es kurz zuvor geregnet hatte.
Etwas Aufregung kam noch dazu, als die Läuferin vor mir im Anmarsch war. Da sie nah bei mir zuhause vorbeilief, wollte ich sie eigentlich abpassen, um sie anzufeuern und ein kleines Stückchen auf dem Fahrrad zu begleiten. Allerdings führte eine ominöse WhatsApp Nachricht und eine fehlerhafte Standortanzeige dazu, dass ich dachte, sie wäre am letzten Zwischenposten stehengeblieben und würde auf mich warten. Als ich am Verpflegungsstand mit dem Fahrrad ankam, erinnerten sich die freiwilligen Helfer zwar an sie, aber sie war doch schon längst weiter. Am Rande des Tegeler Forstes hatte sie kein Netz, deswegen war ihr Google Live-Standort stehengeblieben… Was für ein unglückliches Missverständnis! Ich habe sie verpasst und konnte sie auch auf dem Rückweg nicht mehr einholen, denn sie war schon fast am nächsten Verpflegungspunkt. Da musste ich zusehen, dass ich selbst zu meinem Startposten komme, denn sie hatte da nur noch 5km zu laufen… Stress!
Die Team-Kapitänin holte mich mit dem Auto ab, da sie sowieso in der Nähe war und so war ich rechtzeitig am VP 23 „Oranienburger Chaussee“ (beim Entenschnabel), um noch etwas zur Ruhe zu kommen. Ich justierte meine Bauchlampe etwas nach, packte das Handy schon mal ein und machte mich soweit startklar, dass ich nicht wieder wegen solcher Kleinigkeiten auf dem ersten Kilometer Zeit verlieren muss.
Kaum war die vorletzte Staffelläuferin da, riss ich ihr förmlich den Transponder vom Handgelenk und nach einem schnellen Foto lief ich sofort los. Uff!
Es werde Licht
Zum Laufen im Dunkeln verwende ich keine Stirnlampe – auch wenn diese bequemer zu tragen wäre – sondern eine Bauchlampe. Das habe ich mal irgendwo als Tipp für Barfußläufer gelesen und fand die Argumentation sehr überzeugend:
Eine Stirnlampe wirft das Licht quasi aus Augenhöhe auf den Weg, d.h. Erhebungen werfen dann keinen sichtbaren Schatten und man kann sich leichter die Zehen anstoßen. Bei Nebel oder Regen blendet außerdem das Streulicht einer Stirnlampe direkt vor den Augen.
Eine Bauchlampe hingegen sitzt tiefer als die Augen und erzeugt wahrnehmbare Schatten bei allen gefährlichen Hindernissen. Streulicht gibt es zwar bei hoher Luftfeuchtigkeit auch, ist dann aber nicht direkt vorm Gesicht.
Letztes Jahr musste ich auf den ersten Kilometern mehrfach die Bauchlampe nachjustieren und fester zurren, weil sie beim Laufen auf und ab wackelt und der Lichtkegel unangenehm hüpft. Dieses Jahr habe ich die Lampe mit Eisstielen und Gummibändern versehen, so dass die Auflagefläche am Bauch größer wird. Damit sitzt die Lampe ruhiger in der vertikalen Bewegung. Auch diesen Tipp habe ich irgendwo gelesen und er funktioniert hervorragend!
Race & Pace
Nicht mal 200m nach meinem Start musste ich schon an der ersten roten Ampel stehenbleiben, die aber zum Glück nach 3 Sekunden auf grün sprang. Von da an hatte ich erst mal über 12km ampelfreies Laufen und pendelte mich bei einem ganz bequemen, aber zügigen Tempo ein. Ohne Brille (im Dunkeln trage ich die nicht) konnte ich allerdings nicht sehen, was für ein Tempo mir die GPS-Uhr anzeigt, deswegen lief ich einfach nach Gefühl.
Da ich die Strecke schon mal gelaufen war, hatte ich auch keine Probleme, den Pfeilen zu folgen oder auf unerwartete Untergründe zu treffen. Wunderschön – wenn auch sehr dunkel – war der Weg durch das Naturschutzgebiet Tegeler Fließ. Hier laufe ich sehr gerne durch die Natur, auch wenn der hiesige Asphalt zum Gröbsten auf der ganzen Strecke gehört.
Nach ca. 5,5km kam ich am ersten Zwischenposten „Lübars“ an, wo ich mit einem freudigen „Du hast Deine Schuhe verloren“ von einer mittelgroßen Menschenmenge begrüßt wurde. Ich schnappte mir ein paar Gurkenscheiben und rief zurück, dass ich nur Gewicht spare. Im Stillen dachte ich mir: „was steht ihr da alle rum, seht zu, dass ihr auf die Strecke kommt!“ – aber klar, wenn man wirklich die ganzen 100 Meilen rennt, kann man auch mal ein paar Minuten Pause machen.
Weiter ging es mit leichtem Gefälle bis zum Ende der Lübarser Freifläche und dann auf einem wundervoll glatten Radweg weiter nach Süden, an der Firma Stadler vorbei (Hersteller von Schienenfahrzeugen), durch ein schmales Wäldchen bis zum S-Bahnhof Wilhelmsruh, wo der nächste VP aufgebaut war. Auch dieser erinnerte mich wegen der herumstehenden Läufer eher an einen Glühweinstand als an einen Verpflegungsposten in einem Sportwettkampf. Nach Ergreifung der obligatorischen Gurke rannte ich auch hier gleich weiter.
Treibstoff
Apropos Gurke: letztes Jahr bin ich an allen VPs vorbeigelaufen, weil es eigentlich bei Strecken von unter 20km nicht nötig ist, sich verpflegen zu lassen. Aber dieses Jahr dachte ich mir, dass es vielleicht unhöflich sei, einfach so weiter zu rennen?! Wenn die sich schon die Mühe machen, 26 Stände mit sehr vielseitigem Angebot an die Strecke zu stellen, dann wollte ich das auch wertschätzen und wenigstens alle 5km eine Hand voll Gurken mitnehmen.
Außerdem hatte ich im Gegensatz zum letzten Jahr meinen Laufrucksack mit Trinkblase dabei. Immer wenn die Uhr mir einen weiteren Kilometer gemeldet hat, habe ich einen kleinen Schluck aus dem Schlauch genommen und war so bestens und gleichmäßig mit Flüssigkeit versorgt. Das ist viel besser, als in längeren Abständen eine größere Menge zu trinken. Vielleicht war das das Geheimrezept dafür, dass ich bis zum Ende ein konstantes Tempo halten konnte, ohne zu dehydrieren?! Aber ich will nicht vorgreifen…
Kurz zusammengefasst:
- jeden Kilometer ein Mund voll Wasser
- alle 5 Kilometer 2-3 Stückchen Gurke.
- Reicht! Keine Riegel, keine Powergels nötig…
- das bezieht sich auf meine Strecke von rund 21km – für die Einzelläufer war sicherlich eine ganz andere Ernährungsstrategie notwendig!
Wettrennen
Etwa bei Kilometer 12 tauchte plötzlich ein anderer Läufer von der Seite auf, der muss sich kurz vorher verlaufen haben?! Jedenfalls bog er kurz vor mir auf die Strecke ein und rannte mir erstmal halb davon. Da fiel mir auf, dass ich bis jetzt zwar viele überholt hatte, aber selbst von keinem anderen überholt worden war. 😁
Kurz drauf schaffte er es noch über eine Ampel und ich musste bei rot stehen bleiben – das erste Mal seit dem Start. Er hatte nun gute 100m Vorsprung und ich versuchte einfach dranzubleiben, ihn aber nicht zu überholen. Erst später… vielleicht?! Das ging eine Weile ganz gut so und ich holte etwas auf, blieb aber hinter ihm. In einer scharfen Kurve fiel er plötzlich kurz zurück, da ging es nicht anders, ich musste überholen. Blöd, jetzt war ich der Gejagte… Bis zum nächsten VP konnte ich etwas Vorsprung gewinnen, dann schnappte ich mir wieder ein großes Stück Gurke und er konnte wieder aufholen. Ich versuchte, ihm wegzulaufen, aber entlang der Bernauer Straße mit dem Mauerpark auf der anderen Straßenseite kamen gleich drei rote Ampeln nacheinander, so dass er immer wieder aufschloss. Da war es mir zu bunt und ich beschloss, gleichmäßig weiterzulaufen, wobei wir ins Gespräch gerieten. Wir haben uns dann gute 2 Kilometer lang unterhalten, weil er auch schon ausprobiert hatte, barfuß zu laufen und gerne etwas mehr darüber wissen wollte. Wer hätte gedacht, dass ich in so einem Wettlauf mal ein Schwätzchen halte 😂
Einen halben Kilometer vor dem Ende gab ich aber doch wieder etwas Gas und konnte am Ende eine halbe Minute vor dem anderen Läufer über die Ziellinie laufen. ☺️
Erst viel später beim Blick auf die Zwischenzeiten wurde mir bewusst, dass ich damit ja noch knapp eine weitere 10er Staffel hinter mir gelassen hatte und tatsächlich von niemandem überholt wurde. Vom Start bis ins Ziel konnte ich 13 Plätze in der Gesamtwertung gut machen, sprich 13 Läuferinnen und Läufer überholen, davon 3 andere 10er Staffeln. Klar, die Einzelläufer sind verständlicherweise langsamer. Aber auch von den Staffeln hat mich niemand mehr überholen können. Das ist zwar eigentlich völlig unwichtig, aber gut für mein Ego! 🤪
Ein noch besseres Gefühl war meine Zeit, denn ich konnte trotz der ganzen roten Ampeln (5 oder 6) die Strecke in 1:52 Stunden hinter mich bringen, d.h. ich hatte es tatsächlich geschafft, meinen ersten Halbmarathon unter zwei Stunden zu laufen. Cool! 😎
Und nicht nur das! Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich absolut gleichmäßig gelaufen, das ist sonst gar nicht meine Art. Eigentlich laufe ich lieber mit wechselnden Tempi. Bei Kilometer 17…18 erkennt man die roten Ampeln, die ein paar Minuten gekostet haben. Aber selbst auf dem Abschnitt danach, wo ich mich unterhalten habe, war das Tempo nur geringfügig langsamer als der Schnitt, der irgendwo zwischen 5:10 und 5:30 lag – mit meiner gemessenen, kürzeren Strecke! Wenn man der offiziellen Streckenlänge glaubt, lag mein Schnitt sogar insgesamt bei 5:12 und gelegentlich unter 5 Minuten. 😇
Im Ziel gönnte ich mir dann erstmal eine leckere Gulaschsuppe. Unsere Team-Kapitänin war die Einzige unserer 10er Staffel, die zu so später Stunde (halb zwei) noch zum Ziel gekommen war. Ich kann es den anderen aber auch nicht verdenken. Letztes Jahr hatte ich es ja auch nicht mehr geschafft. Trotzdem jubelte mir eine gefühlt große Menschenmenge zu, als ich ins Stadion einbog. Die Stimmung unter den wenigen Anwesenden und überhaupt bei allen Helfern und Zuschauern an der Strecke war großartig und jeder und jede wurde mit viel Aufmunterung angefeuert, egal ob Einzelläufer oder Staffel. Tolle Atmosphäre! 🥳
Siegerehrung
Am nächsten Tag waren wir leider auch nur zu zweit bei der Siegerehrung um 11 Uhr. Ich hatte gerade mal 4 Stunden Schlaf bekommen, aber das wollte ich mir nicht nehmen lassen. So spektakulär verlief die Ehrung der Staffeln zwar nicht, aber ich wollte einfach dabei sein. Schade, dass die anderen Staffelmitglieder nicht gekommen waren, aber manche waren direkt nach ihrem Lauf in den Urlaub gefahren oder hatten andere Verpflichtungen. Es waren ja einige sehr kurzfristig eingesprungen, da war der Sonntag schon verplant.
Die Einzelläufer wurden nicht im Erika-Hess-Stadion sondern im Hotel geehrt, deswegen konnte ich leider die Siegerin nicht live sehen. Ja, Siegerin! Eine Frau aus Norwegen (Jg. 1972) hat dieses Jahr gezeigt, wo der Hammer hängt und hat den schnellsten Mann ganze 42 Minuten hinter sich gelassen. Mit einer unfassbaren Zeit von 13:53:57 Stunden (durchschnittliche Pace von 5:10 – inklusive Pausen und Ampeln!) haben es nur 4 Staffeln (zwei 10er und zwei 4er) geschafft, schneller zu sein, so dass sie in der Gesamtwertung noch auf Platz 5 ist. Eine Wahnsinnsleistung! Das ist eine der schnellsten Einzelzeiten in der Geschichte des Mauerweglaufes. Unter 14 Stunden haben es noch nicht viele geschafft, soweit ich weiß, nur 4 Männer bisher. 💪
Andererseits habe ich aber auch gesehen, dass viele „normale“ Einzelläufer am Folgetag schwer humpelnd durch das Eisstadion gekrochen sind, teilweise mit großen Blasen an den Fersen. Dann denke ich mir, dass es diesen Preis nicht wert ist und bleibe lieber bei der Staffel. Ambitionen auf eine Einzelteilnahme habe ich definitiv nicht und begnüge mich weiterhin mit Genussläufen vor der Haustür über märkische Sandböden und einigen wenigen Asphalt-Wettläufen im Jahr, die sicher nicht länger werden als dieser Teilabschnitt hier. Getreu dem offiziellen Motto:
Niemand hat die Absicht, 100 Meilen zu laufen! 😉
💯
*) das mit den Glasscherben im Dunkeln war natürlich ein Scherz! Selbstverständlich sieht man die Scherbenhaufen auch mit Lauflampe oder Straßenbeleuchtung und das ist wirklich kein Problem gewesen!
Hallo Forbi,
danke für den spannenden Bericht und Glückwunsch zu Deiner Leistung. Als Nichtläufer kann ich da nur ehrfurchtsvoll den Hut ziehen! 🙂
LG Wolfgang